Interview im Falter (06/21)
von Maik Novotny
Sie sind die Bühnen für Interviews, Filmdrehs und informelle Gespräche aller Art. Sie sind Tempel des Kommens und des Gehens, Übergangsräume, öffentlich und privat zugleich: Hotellobbys.
Nichts läge näher, als den Fotografen Wolfgang Thaler in einem Hotelfoyer zu interviewen, mit seiner Groß- formatkamera hat er zwischen 2015 und 2020 rund 200 davon dokumentiert. Eigentlich hätten es alle Wiener Hotels sein sollen, das ist sich vor der Corona-Pandemie nicht ganz ausgegangen.
Sein Bildband „Wien Hotel“ er- schien also in einer Zeit, da die Hotelfoyers gesperrt sind und viele Be- herberger nicht wissen, ob sie je wieder öffnen werden. Aus der Festschrift für einen viel verheißenden Gebäudeteil wurde ein melancholischer Partezettel in Buchform. Nun plaudert der Fotograf Wolfgang Thaler auf einer winterlichen Parkbank über seine Leidenschaft: Was Hotelfoyers über Wien und die Epochen, über das Reisen und die Isolation erzählen.
Falter: Herr Thaler, Sie wollten alle Hotels von Wien fotografieren, das sind über 400. Was hat Sie geritten? Wolfgang Thaler: Ich mag langsame Projekte, die wie ein Kochtopf vor sich hinblubbern. Gerade als Berufsfotograf, wo es oft um kurzfristige Aufträge geht, braucht man dieses Parallel-Leben mit weitem Zeithorizont. Außerdem: Wenn ich bewusst 50 oder 100 Hotels ausgewählt hätte, wäre das Buch geschmäcklerisch geworden, das hätte mich nicht interessiert. Alle Hotels der Stadt sollten vorkommen, und sie alle sollten gleich behandelt wer- den. Immerhin die Hälfte habe ich geschafft.
Aber warum haben Sie keine Hotelzimmer oder Gänge fotografiert, sondern immer nur die Foyers?
Thaler: Sie sind der beste Ort in jedem Hotel: Es besteht dort ein Spannungsverhältnis zwischen Stadtraum und Innenraum. Das gibt es so ähnlich auch in Kaffeehäusern, aber die sind eher städtische Wohnzimmer. Das Hotelfoyer hingegen ist nicht wohnlich, es ist ein Schau- und Bühnenraum, die Schnittstelle von Ankommen und Wegfahren.
Wann haben Sie diese Liebe entdeckt?
Thaler: Foyers haben mich immer fasziniert, bei einem Spaziergang vor über fünf Jahren hat mich dann irgendetwas ins Hotel Imlauer im zweiten Bezirk gezogen. Und das ist jetzt nicht unbedingt ein Hotel, das in der Straße besonders heraussticht. Im Foyer habe ich dann ein Wandrelief mit einer Stadtsilhouette von Wien entdeckt – und die Idee war sofort da. Ich wollte diesen Verweisen auf Wien in den Hotels der Stadt nachspüren. Drinnen vorwegnehmen, was vor der Tür wartet – das ist doch spannend.
Was signalisiert dem Gast unzweifel haft, dass er sich in Wien befindet? Thaler: Es gibt natürlich das Imperiale als Leitmotiv. Einerseits in den Möbeln, Farben und Oberflächen. Andererseits habe ich oft Porträts gesehen, Habsburger wie Sisi und Franz, oder die Vorfahren der Hoteliersfamilien, etwa beim Hotel Imperial. Prinz Eugen tritt zwar nur im gleichnamigen Hotel auf, dafür aber massiv, mit großen Wandmalereien. Im Eugen gibt es übrigens auch eine der schönsten Hotelbars. Natürlich wiederholt sich viel Gold und Gustav Klimt, der Gast soll Wien nie vergessen. Sogar Stadtpläne hängen noch hie und da an der Wand, mehr Symbol als Funktion. Nur ein Hoteltypus scheint absichtlich auf jeden Stadtbezug zu verzichten: Seminarhotels. Die sind anonym und gleichmäßig, auch diese Wien-Abwesenheit ist interessant.
Gibt es auch antiwienerische Hotels?
Thaler: Ich liebe das Marriott am Parkring! Diese amerikanische Postmoderne mit Palmen, und dann die- ses sehr tiefe Foyer, in das der Besucher ewig hineingeht! Man ist sofort woanders, das ist vielleicht für Wiener mehr Erlebnis als für den Gast. Viele Reisende steigen gerne in Hiltons ab, weil die überall gleich aussehen. Der US-Historiker Christopher Long hat mir aber erzählt, dass eine Bekannte von ihm bei Wien-Reisen immer im Hilton absteigt, weil sie es so „wienerisch“ findet. Vielleicht sieht die subtilen Unterschiede nur, wer alle Hiltons kennt.
Hotelfoyers sind ein beliebter Schauplatz in der Literatur und im Film. Warum eigentlich?
Thaler: Der Mythos begann Anfang des 20. Jahrhunderts in der Blütezeit der Grandhotels. Wir denken an die Schriftsteller Robert Musil und Josef Roth, Siegfried Kracauer deutet das Foyer in seinem Aufsatz „Die Hotelhalle“ als Inversion der Kirche, als Be- gegnung mit dem Nichts. Aber es gibt auch zeitgenössische Literatur dazu, etwa im Roman „The Way Inn“ von Will Wiles, der in einem anonymen Seminarhotel spielt. Eine Bekannte hat mir erzählt, dass sie Hotellobbys gerne dazu benutzt, um in Beziehun- gen Schluss zu machen, das ist fast schon wieder romantisch. Natürlich kann man sich in Hotellobbys auch verlieben.
In Ihren Foyerfotos passiert das eher nicht, darauf sind fast nie Menschen zu sehen. Warum?
Thaler: Hotellobbys sind eigentlich Bühnenräume. Türen und Gänge füh- ren hinter die Bühne, dazu die inszenierten Stiegenaufgänge. Man erwartet immer, dass gleich jemand auftritt. Dafür ist Fotografie ein gutes Mittel, weil sie den Blick auf Dinge richtet, die einem nicht gleich auffallen. Zu dieser räumlichen Theatralik kom- men noch die Programmplakate für die Wiener Theater in vielen Lobbys.
Die Rezeption und Rezeptionisten sind fast nie im Bild, obwohl sie doch die wesentliche Funktion des Empfangs einnehmen.
Thaler: Das wäre zu einfach gewesen. Die Lobby hat eine Funktion für das Hotel, ein- und auszuchecken. Für mich als Fotograf hat sie eine andere. Ich benutze sie wie ein Regisseur, ich zerlege die Räume und baue sie wie- der zusammen. Das Buch übernimmt eine Vermittlerrolle, die Bilder sind ein Portal in eine Welt.
Haben alle Hotels Ihrem Projekt zugestimmt?
Thaler: Die meisten. Manche fehlen leider aus diesem Grund im Buch. High-End-Hotels wie das Palais Co- burg sind zu exklusiv, da kommt man nicht hinein. Das Hilton und das de France haben abgesagt, auch das Hotel Stefanie in der Taborstraße, das älteste Hotel Wiens. Oder das Fürst Met- ternich in Mariahilf mit seiner tollen American Bar. Schade drum.
Hotellobbys erzählen auch etwas über die Zeit ihres Entstehens. Welche Trends sehen Sie heute?
Thaler: Es gibt seit ein paar Jahren diesen Stil der durchgeplanten Pa- tina, den ich Designer-Vintage nen- ne, beim 25 Hours Hotel, beim Hotel Schani und, etwas subtiler, beim Ho- tel Brillantengrund. Man fragt sich, ob es früher auch schon diese Retro- und Nostalgiewellen in der Einrichtung von Hotels gab oder ob Architekten überhaupt jemals einen zeitgenössischen Anspruch hatten.
Neben den Möbeln gibt es noch typisches HotelfoyerZubehör.
Thaler: Erstaunlich oft tauchen Bücher als Dekorelement auf. Mal echt, mal Fototapete von Bücherwänden. Dann gibt es diese Wanduhren, die die Zeit in New York, London und Tokio an- zeigen, die sind wohl weniger funk- tional, als dass sie Internationalität mimen. Aber das Beste sind natürlich: Schuhputzmaschinen! Ich verwende sie immer im Hotel und hätte am liebsten eine zuhause. Ich habe mir ein Schuhputzmaschinenunternehmen als Sponsor für das Buch gewünscht, das hat aber leider nicht geklappt.
Ihr Buch zeigt auch Spuren von veralteten und vergessenen Foyer Funktionen wie Schreibstuben und Telefonkabinen.
Thaler: Früher gab es auch die Hotelpostkarte! Anfang des 20. Jahrhun- derts haben Menschen Postkarten von Hotellobbys geschickt, mit Fotos der Hotellobbys als Motiv. Ich habe diese Karten eine Zeitlang gesammelt, leider ist das Postkartenfoyer weitgehend verschwunden.
Ihr Buch zeigt auch exotische Hoteltypen. Viele sind so klein, dass sie gar kein richtiges Foyer haben. Thaler: Das sind meistens die, die in Wohnhäusern versteckt sind. Dort ist das Stiegenhaus die Lobby, weil drinnen gar kein Platz wäre. Ein Typus, den ich liebe, ist der Gasthof, also das Wirtshaus mit Gästezimmer, der eher auf dem Land vorkommt. Und dann gibt es die Hostels, also die Nachfol- ger der fast ausgestorbenen Jugendherbergen. Zwei von ihnen habe ich fotografiert, das war lustig, denn das Foyer funktioniert komplett anders als in Hotels. Dort herrscht 24 Stun- den am Tag Party mit internationa- len Globetrottern. Es ist praktisch unmöglich, diese Foyers ohne Menschen festzuhalten! Ich musste um zwei Uhr nachts fotografieren.
Sie beschäftigen sich schon lange fotografisch mit dem Innenraum, während klassische Architekturfotografen eher das Exterieur bevorzugen.
Thaler: Das Verhältnis der Kamera zum Innenraum ist ein spezielles. Man kann ihn nicht wie ein Objekt aufneh- men, man kann ihn nie komplett einfangen. 1993 habe ich Aida-Cafés fotografiert, das waren meine Wohnzimmer, damals habe ich in der Aida gelebt. Später habe ich Innenräume von Büros und Betrieben in aller Welt fotografiert, die aber so anonym waren, dass sie überall sein konnten. Hotels vereinen beide Aspekte: Sie sind anonym und speziell, sie adressieren die Welt, sind aber sehr ortsverwurzelt.
Was schätzen Sie selbst auf Reisen?
Thaler: Je nach Gemütslage Bar oder Bett. Eigentlich habe ich keine No-Gos, ich schätze dieses kurze Ein- tauchen in ein Setting und kann für ein oder zwei Nächte auch dem unteren Ende des Komforts etwas abgewinnen. Das einzig schlimme Hotelerlebnis hatte ich in Stockholm, dort war mein Zimmer im Souterrain ohne Fenster! Zwei Nächte lang war es interessant, in der dritten dann nicht mehr lustig.
Die Pandemie hat die Hotellerie schwer getroffen. Ist Ihr Buch eine sehnsüchtige Rückschau?
Thaler: Das fing schon während der Arbeit am Buch an. Ich hatte einen Termin im Hotel Cristall in der Leopoldstadt ausgemacht, und als ich am nächsten Tag dort war, räumten sie die Lobby aus und sagten: Sorry, das Hotel gibt’s nicht mehr. Es war über Nacht verschwunden. Jeder merkt dieser Tage, wie sehr die Hotels fehlen. So wie das Hotel die Stadt braucht, braucht auch die Stadt das Hotel.
Haben die Hotellobbys also Zukunft?
Thaler: Es wird sie immer geben, aber das Verschwinden der Rezeption zugunsten des Handys macht mich schon betroffen. Bei manchen neuen Boutiquehotels ist der Check- in durchdigitalisiert, dann geht dem Gast der Akku aus und er bekommt die Tür nicht auf, wie in einer Slapstickszene in einem Film von Jacques Tati. Dieser schöne Moment des Ankommens geht ja ohne Rezeption total verloren.