Fotografie:
Innen: Andrew Phelps
Aussen: Wolfgang Thaler
Leporello: Grafische Gestaltung: Wolfgang Thaler
Text von Norbert Mayr
„Salzburg wurde Großstadt”, erklärte 1953 der Ressortchef für Stadtplanung, Architekt Otto Ponholzer im Wiederaufbaufieber. In dieser Aufbruchstimmung entstand 1956/57 das Hotel Europa im ehemaligen Park des bombenzerstörten Grand Hotel de l`Europé, einem Luxushotel der Gründerzeit. Die „Silhouette” der Hotelscheibe „erinnere an jene des UN-Gebäudes in New York”, verlauteten die Salzburger Nachrichten noch vor Baubeginn, und der austro-amerikanische Architekt Richard Neutra beschrieb das Hochhaus als „turmgleich” aufwachsend „über dem alten Bahnhof”.
Das Hotel Europa sollte dem Reisenden bei seiner Ankunft in der geschichtsträchtigen Bischofsstadt ein großstädtisch-modernes Lebensgefühl vermitteln. Dem Architekten, Josef Becvar, war dabei die effektvolle Wirkung der großen Nordfassade mit den bei Nacht von Innen beleuchteten, schachbrettartig versetzten Gangfenstern ein Anliegen.
Sorgfältig ist auch die Südseite des Hotels gestaltet. Der schmale Erschließungstrakt (Stiegenhaus und Lifte), der die Vertikale betont, steht mit dem daran anschließenden horizontal gegliederten Zimmertrakt in einem ausgewogenen Verhältnis. Zweigeschoßig aufgeständert finden hier eine helle Empfangshalle und das ehemalige Verkaufslokal – darüber im Zwischengeschoß Frühstückszimmer und Gesellschaftsräume – Platz. Die schlanke Wirkung wird durch die geschlossene Seitenfassade mit ihrem vertikalen Mosaikstreifen noch gesteigert.
Während sich das ganz Österreich erfassende Hochhausfieber Mitte der fünfziger Jahre anderenorts dem Thema Wohn- und Bürohochhaus widmete, entstand in Salzburg, das vom Tourismus lebt, als erstes Hochhaus ein sechzehngeschoßiges Hotel.
In der an landschaftlichen und architektonischen Qualitäten reichen Stadt wird die visuelle Wahrnehmung durch eingeprägte Ansichten und „schöne Aussichten” in besonderem Maße bestimmt. Konsequenterweise bietet das Hotel Europa ausschließlich Zimmer Richtung Altstadt. Darüber hinaus soll das Café im obersten, an drei Seiten verglasten 16. Geschoß einen „herrlichen Rundblick auf die Gebirgszüge des Salzkammergutes” ermöglichen. Der in eineinhalb Jahren aus dem Boden gestampfte Betonsolitär behauptet sich selbstsicher gegen die Stadtberge mit ihren tradierten Postkartenansichten auf Altstadt- und Bergsilhouetten.
In der Blickachse Maria Plain–Altstadt gelegen, entzündete sich bereits während des Baues des 56 Meter hohen Hotels eine intensive Hochhaus- und Stadtbild-Diskussion. Besonders der Landeskonservator des Bundesdenkmalamtes und der Salzburger Stadtverein kritisierten diesen massiven Eingriff in das Altstadtbild. Der Salzburger Gemeinderat, der das Hochhaus im Modernisierungs- und Machbarkeitsfieber des Wiederaufbaus genehmigt hatte, war in der Folge dermaßen verunsichert, daß er wenig später dem 42 Meter hohen Glockenturm der Kirche Herrnau die Genehmigung verweigern wollte.
Als die Gemeindepolitik Mitte der neunziger Jahre fast einhellig dem Abbruchantrag der Eigentümer des Hotel Europa zustimmte, war das Argument, das Altstadtbild zu „sanieren”, längst fragwürdig geworden und hätte den Blick nur noch stärker auf das bauliche Umfeld des Hotels gelenkt. Die sogenannten „Zylatürmen” als Teil des ehemaligen CITY-Südtirolerplatz Wohn – und Geschäftszentrums vom Anfang der siebziger Jahre sind Sinnbild eines Schulterschlusses aus Politik, Stadtplanung und Bauträgern in den Jahrzehnten des Wiederaufbaus. Die Stadtväter trugen jedoch bereits in den fünfziger Jahren die stadtplanerisch problematische, extreme Verdichtung der Gründe rund um das Hotel Europa mit. Josef Becvar hatte die wachsenden Verwertungswünsche des Grundeigentümers Georg Jung durch immer massivere Bebauungsvorschläge umgesetzt, schließlich in Form eng gedrängter 10-geschoßiger Wohnblöcke.
Beim Hotel Europa hingegen entwickelte Becvar ungleich höhere baukünstlerische Ambitionen. Er wollte in die damals rund 110.000 Bewohner zählende Stadt eine markante Dominante setzen. Um eine elegante, schlanke Hochhausscheibe zu erreichen, wurde ein großer Anteil an unökonomischen Gangflächen in Kauf genommen. Der Hotelsolitär formuliert einen prägnanten Abschluß des Bahnhofsplatzes nach Süden und setzt durch seine Breitseite eine Zäsur Richtung Altstadt.
Die für den Salzburger Kontext beachtliche Modernität ist der Versuch, an die zeitgenössische, internationale Architektur anzuschließen. Dies verdeutlicht ein Vergleich mit dem etwa gleichzeitig entstandenen, 1998/99 abgebrochenen Kongreßhaus (Architekten Eugen Wörle/Max Fellerer, Wien; Otto Prossinger/Felix Cevela, Salzburg) als Beispiel einer in Salzburg typisch zurückgenommenen Modernität. Die Überlagerung der klaren Stahlbetonstruktur mit repräsentativ-historisierenden Elementen zeigt die Ambivalenz zwischen den Polen einer sich fortschrittlich gebenden Aufbruchstimmung und eines Traditionsbewußtseins im Grenzbereich zum Plakativen. Die Sichtweise, das Hotel Europa als besonders fragwürdigen Schandfleck für das Stadtbild Salzburgs zu werten, wurde in der Diskussion in Folge des Abbruchantrags Mitte der neunziger Jahre immer stärker relativiert. So steht mittlerweile die städtebauliche Bedeutung für den Bahnhofsvorplatz wie für den baulich mittlerweile ausgeuferten Norden der Stadt außer Streit.
Die Leserbriefe in den Salzburger Nachrichten Anfang 1995 umkreisen das facettenreiche Symbol des Wiederaufbaues von verschiedenen Seiten. Neben der Ablehnung als Bausünde, ob nun „Monster–Bauwerk”, „seelenloser Zweckbau”, „Stehkäse” u.a.m., verbanden viele Menschen positive Emotionen und angenehme Erinnerungen mit dem Hotel als städtischem Lebensraum: „Egal ob schön oder nicht, wir Salzburger leben schon lange mit dem Bau. Ihn abzureißen heißt auch, einen Teil unseres Lebens zum Verschwinden zu bringen. Laßt das Europa stehen!” (K. Breuner, 20. 1. 1995) Der Besuch des Panoramacafés, Rendezvous, Verlobungsfeiern oder das letzte Frühstück vor der Trauung sind nur einige der Erinnerungen. Ein Leser schätzt den täglichen Blick aus seinem Fenster auf die geliebte Salzburger Skyline mit Europa und Stauffen im Morgenlicht: „Es fehlt doch ohnehin an (Kirch)türmen in dieser Gegend, und Türme braucht der Mensch. Bei meinen regelmäßigen Blicken aus dem (WIFI)-Fenster sähe ich nichts Erbauendes mehr……”, schrieb eine Frau aus Hof. „Wenn ich aus Richtung Norden nach Salzburg einfahre ist das Europa ein Stück Heimat für mich” (Helene Kleinholz, 21. 1. 1995).
„Bei den jüngeren Semestern überwiegt das Ja zum Hotel ganz deutlich.” Dies ergab eine Zwischenbilanz der SN bei 120 Leserbriefen (21. 1. 1995), wobei die Abrißgegner eine knappe Mehrheit stellten.
Die Erhaltung des Hotels war lange Zeit nicht absehbar, da sich das Bundesdenkmalamt in einem von der INITIATIVE ARCHITEKTUR angeregten Unterschutzstellungsverfahren nicht dazu durchringen konnte, das Hotel als schützenswertes Denkmal einzustufen. Anfang 1996 attestiert ein Statiker-Gutachen des Hauseigentümers dem Hotel Europa Abbruchreife. Der Mangel an besseren Verwertungsmöglichkeiten des Grundstücks verhinderte allerdings den Abriß.
Der in Salzburg lebende amerikanische Fotograf Andrew Phelps hält seit einigen Jahren das Hotel in Bildern fest, um es vor dem ehemals geplanten Abbruch zu dokumentieren. Er schuf eindrucksvolle Bildkompositionen jenseits reiner Dokumentationen und konzentrierte sich auf Stimmungen, ob in der Eingangshalle oder in den Gängen und Zimmern. Seine Motive zeugen vom Wandel eines Gebäudes, das nach internationalen Hotelstandards ge- und in der Folge umgebaut wurde. Diese Veränderungen gingen zu Lasten der gestalterischen Qualität. Die Schwarz-Weiß-Fotografien frieren das Nebeneinander und die zeitlichen Überlagerungen ein. In der Auswahl wurde ein Bogen geschlagen von der reduzierten Einfachheit der fünfziger Jahre bis zum plüschigen Hotelambiente der achtziger Jahre. Hotelausstattungen sind allerorts international austauschbar, gleicher „Standard” von genormter Banalität.
Ein Fernseher lieferte gerade zur rechten Zeit Bilder der Heimat des Fotografen ins Hotelzimmer. Die beiden Ausblicke vom Hotel werden verschleiert. Sie nutzen nicht die Gebäudehöhe zum Blick auf die vielgerühmte Altstadtsilhouette, sondern zeigen die unmittelbare Umgebung, den Bahnhofsvorplatz und die nahe Wohnbebauung.
Das Hotel Europa galt über mehrere Jahrzehnte als „Schandfleck” für das Stadtbild, weil es gewohnte Blickverbindungen zur Altstadt beeinträchtigte. Mit der schrittweisen Einführung der Fußgängerzone im Stadtkern verstärkte sich die Trennung zweier Elemente des urbanen Raumerlebnisses Salzburgs: Eine bildhafte Gestaltwahrnehmung in der Altstadt, in der Peripherie hingegen eine bewegungsbezogene Wahrnehmungsweise mit begrenzter Orientierungsqualität. Eine möglichst hohe Präsenz der Altstadtkulisse sollte über Jahrzehnte diesen Verlust an Orientierung kompensieren.
Bei den Fotoarbeiten des in Wien arbeitenden, aus Salzburg stammenden Fotografen Wolfgang Thaler geht es um ein Festhalten des Baues im Sinne bildhafter Gestaltwahrnehmung. So wie man etwa die Kollegienkirche Fischer von Erlachs, die seit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert als neue Dominante die Fronten der Bürgerhäuser der Altstadt überragt, umkreisen kann, wird das Hotel Europa ins Bild gerückt. Das Hotel steht nicht vor Altstadtsilhouette und Festungsberg, wie dies ein Blick von Maria Plain ergeben würde. Thalers Aufnahme vom Rennerberg hingegen zeigt kaum Altstadt hinter dem Hotel. Der Fotograf zieht in ruhigen Bildern seine Kreise um den im heterogenen Weichbild der Stadt omnipräsenten Solitär. Die Prägnanz des Gebäudes erschließt sich auf Thalers Fotografien vom kleinen versteckten Hinweis bis zur bildbestimmenden Dominante. In der Fernwirkung ist die obere Hälfte der Hochhausscheibe präsent, während sonst das bauliche Umfeld und der Straßenraum der Vorstadt die Ausschnitte bestimmen. Immer wieder finden sich Sichtbeziehungen zum Hotel. Immer wieder wertet seine optische Anwesenheit austauschbar wirkenden vorstädtischen Raum auf, gibt dem Ort höhere Bedeutung.
Die beiden Positionen von Wolfgang Thaler und Andrew Phelps erschließen spiralförmig das Hotel von seiner optischen bis hinein zu seiner innenräumlichen und haptischen Dimension.
Nach der jetzigen Generalsanierung – die Wiener Städtische Versicherung als Eigentümer des Hotel Europa will ca. 130 Millionen Schilling (!) investieren – wird sich das städtebauliche Erscheinungsbild durch einen gläsernen Doppellift an der Nordfassade verändern. Der Wiener Architekt Friedrich Kofler nahm dabei Anregungen der Planungsvisite des Magistrats auf, was die Außenerscheinung des projektierten Anbaus verbessern soll. Ein mit einem eigenen Aufzug erschlossenes Café wird es nicht mehr geben. Bedauerlicherweise werden die authentischen Glasmosaikflächen – ob bei den Fensterbändern, dem vertikalen Streifen an der Stirnseite oder an den Erdgeschoßpfeilern – unter einer Außendämmung verschwinden. Eine Innendämmung, welche die Proportionen und Oberflächenqualitäten erhalten würde, steht leider nicht zur Diskussion. Kurioserweise werden Rekonstruktionen der Mosaikfelder auf der Styroporverpakkung in Erwägung gezogen.
Das Innere wurde bis September 1999 auf seine in den fünfziger Jahren minimierte und statisch ausgeklügelte Stahlbetonstruktur zurückgeführt. Die Abbruchmannschaften haben dabei nicht nur ausgediente Einrichtungsgegenstände, sondern auch den Charme des Gebäudes beseitigt. Auf welche Weise jener Standard, den der gehobene Reisende von heute angeblich überall wünscht, erreicht wird, ist noch nicht absehbar. Ein architektonisch anspruchsvolles Sanierungskonzept hätte eine Symbiose aus erhaltener Bausubstanz der fünfziger Jahre und zeitgenössischer Architektur entstehen lassen und damit Spuren und Identität des Gebäudes bewahrt. Nach deren rigoroser Beseitigung wird sich bald zeigen, ob das sanierte Gebäude in ein neues Inneres und eine – zum Teil rekonstruierte – Außenerscheinung der fünfziger Jahre zerfällt. Die Möglichkeit, mit einem Architekturwettbewerb eine zukunftsweisende Lösung für diese Fragestellung anzustreben, wurde vom Bauherrn nicht ergriffen.
Josef Becvar
Der in Wien 1907 geborene Architekt schloß 1931 sein Studium an der Meisterschule Peter Behrens an der Akademie der bildenden Künste Wien ab. Seit 1933 selbständig, erhielt er 1967 den Titel Professor. Becvar war in den drei Nachkriegsjahrzehnten ein planerisch und politisch hochaktiver, technisch und organisatorisch kreativer Akteur vorwiegend in Wien und seit 1946 auch in Salzburg.
Neben dem Hotel Europa entstand hier das Bürogebäude der Assicurazioni Generali anstelle der zerbombten Hälfte von Mozarts Wohnhaus am Makartplatz – überdimensioniert und das Stadtbild beeinträchtigend (1951-52, abgebrochen 1994) -, der Griesgassen-Durchbruch – eine moderat moderne, funktionstüchtige Architektur (1952-54), der umstrittene sogen. Mississippidampfer am Hanuschplatz – modernes städtisches Lebensgefühl vermittelnde Architektur (1954, abgebrochen 1974), der Fordhof – eine städtebaulich bemerkenswerte Großform (St. Julien-Straße/Ecke Rainerstraße 1952-54) und somit ein breites Spektrum unterschiedlicher Qualität.
Josef Becvar starb 1984 in Wien.
Literaturhinweis:
Norbert Mayr, Die “aufgestellte Streichholzschachtel”. Das Salzburger Hotel Europa als facettenreiches Symbol des Wiederaufbaues, in: Architektur & Bauforum, 1995, Nr. 176, S. 66-71
Fotonachweis:
Josef Becvar, um 1960, Archiv Norbert Mayr
Hotel Europa /Salzburg, in: Der Bau, 1960, Heft 1
Norbert Mayr lebt und arbeitet in Salzburg
Andrew Phelps lebt und arbeitet in Salzburg
Wolfgang Thaler lebt und arbeitet in Wien